Riwan

Distelblütenlied

 

Russisches Blut, verborgen in mir,

Drängt meine Seele, zu fragen nach Dir.

Kamst von der Wolga,

Dem russischen Strom

Oder vom Ural, ich weiß nicht davon.

 

Russland so weit, es sehnt sich mein Herz.

In mir ist Freude, Kummer und Schmerz.

Kamst von der Wolga,

Dem russischen Strom

Oder vom Ural, ich weiß nicht davon.

 

Land meines Vaters, ich liebe dich sehr.

Seh' deine Wälder, die Steppe, das Meer.

Schön ist das Land und stolz die Nation.

Russland ade, wenn ich gehe davon.

Russland ade, wenn ich gehe davon.


Krieg, das ist Tod, sagt man so dahin,

Aber ich lebe, das dank' ich nur ihm.

Kamst von der Wolga,

Dem russischen Strom

Oder vom Ural, ich weiß nicht davon.

 

So war mein Leben, die Suche nach Dir.

Russische Lieder, die klingen in mir.

Kamst von der Wolga,

Dem russischen Strom

Oder vom Ural, ich weiß nicht davon.

 

Land meines Vaters, ich liebe dich sehr.

Seh' deine Wälder, die Steppe, das Meer.

Schön ist das Land und stolz die Nation.

Russland ade, wenn ich gehe davon.

Russland ade, wenn ich gehe davon.


Euer Riwan


Riwan hat ein Manuskript erstellt, in dem er aus seinem Leben berichtet.

Der Text liegt noch nicht öffentlich vor.


Hier wird ein kleiner Ausschnitt vorgelesen.


Die Jahre werden vergehen, wie wir auch. Die Gruppe wird eine späte, aber gute Erinnerung für alle Distelblüten sein, die sich getroffen haben und auch für die, die sich noch entschließen werden, aus ihrer Befangenheit herauszutreten.


Euer Riwan


Ich bin Riwan.


Der Name leitet sich aus meinem wirklichen Vornamen Reinhard und dem typisch russischen Namen Iwan ab.


Am 2. März des Jahres 1946 wurde ich im sudetendeutschen Eidlitz, heute Udlice, als Sohn des russischen Offiziers und Pianisten Nikolai und meiner deutschen Mutter Irma geboren. Bereits zwei Tage nach meiner Geburt wurde ich Römisch Katholisch auf den Namen meines Ziehvaters getauft. Den Nachnamen des biologischen Vaters habe ich nie erfahren. Meine Mutter hatte den Zettel und das Bild mit seiner Anschrift weggeworfen. Er soll, wie meine Großmutter mir erzählte, gutmütig und hilfsbereit für die Familie gewesen sein.


Ich wuchs als Kind in einem Dorf in Thüringen auf.


Liebkosungen habe ich weder von Mutter noch von meinem Ziehvater Josef erhalten. Doch ich bin ihnen sehr dankbar dafür, dass sie das Los auf sich genommen hatten, einen kleinen Halbrussen aufzuziehen. Sowohl für Josef, als auch für meine Mutter Irma, war es sicherlich nicht einfach, einen kleinen Russki zu haben.

Liebkosungen, an die ich mich erinnere, habe ich nur vom Dorfschmied erhalten, der mir, wenn ich vor seiner Schmiede stand, über mein Haar strich und mich liebevoll „kleiner IWAN“ oder „kleiner RUSSKI“ nannte, was ich damals jedoch nur emotional registrierte. Als Kind, Jugendlicher und Erwachsener war ich niemals Schimpfworten, wie „Russenbalg“ oder sonstigen Diffamierungen ausgesetzt. Dass ich einen russischen Vater habe, war mir erst mit 15 Jahren, auf mein Drängen hin, endlich zu wissen, wer nun mein Vater sei, von meiner Mutter erzählt worden.


Kurzum, ich habe eine wunderbare Kindheit und Jugendzeit erlebt.


Ich habe in Dresden an der TU studiert und war später Betriebsleiter, bis mich das System der Stasi ins Blickfeld bekam, weil ich mit der DDR-Opposition sympathisiert hatte. Die Konsequenz daraus war, dass ich arbeitslos gemacht wurde, bis ich schließlich meine eigene Firma aufbauen konnte, die ich nun an meine jüngste Tochter übergebe, die sich ebenfalls für unsere Geschichten interessiert und mir jederzeit mit Rat und Tat zur Seite steht. 1990 habe ich dann den „Demokratischen Aufbruch - sozial und ökologisch“ in Leipzig mitbegründet und war der Wahlleiter zur ersten freien Wahl in unserem Kreis.


Nun sind die Jahre vergangen und man hat das Bedürfnis, sich mitzuteilen. Dafür habe ich als Erinnerung für meine Kinder und Enkel ein Buch geschrieben, das den Titel „Riwan“ trägt. Das Bild des Harlekin auf dem Deckblatt, mit dem Titel „Versteckter Sieg“, habe ich gemalt, als ich in meiner Dresdner Zeit die Ambition hatte, umzusatteln und Malerei studieren zu wollen. Ein Harlekin mussten besonders auch die Russenkinder in der DDR sein.


Eines der schönsten Erlebnisse ist jedoch, dass ich im Alter nun Kontakt zu anderen Russenkindern und Distelblüten bekommen habe und wir uns, Dank sei Winfried und Birgrit sowie allen anderen Disteln, austauschen können.

Einen ganz persönlichen Wunsch für meine noch verbleibende Zeit konnte ich mir erfüllen. Hier, an meinem Bienenhäuschen lese und schreibe ich. Dabei denke ich oft an das Gewesene.


Hier noch einmal mein Eintrag aus dem Gästebuch vom 29. September 2015


Eine Distel der Russenkinder Distelblüten


Es wächst eine Distel bei mir auf dem Hang.

Sie leuchtet herüber, ich seh sie gern an.

Stechende Blätter, aber steht schön in Blüte,

sind leuchtend lila, wird mir wohl im Gemüte.


Ich erkenn in der Distel mein eigenes Sein,

außen sehr stachlich, im Herzen doch rein.

Steh oft am Wegrand und nicht sehr beachtet,

dort sehe ich viel, bin hell, nicht umnachtet.


Sehe viele Menschen im beständigem Lauf,

fließen eilends vorüber, halt sie nicht auf.

Will nicht mehr sehen den ständigen Fluss,

sitz gern am Hügel, daran hab ich Genuss.


Am Hügel, da denk ich sehr oft auch daran,

wie versteckt es mit meinem Dasein begann.

War nicht das Kind, so, wie andre genormt,

stammte vom Russki, das hat mich geformt.


Den Namen vom Vater, den kannte ich nicht,

doch in meinen Träumen seh ich sein Gesicht.

Die Mutter hat später von ihm kurz erzählt,

hieß Nikolai, sie nicht mit Gewalt ausgewählt.


Nikolai war Offizier im russischen Bataillon,

stationiert nach dem Krieg in Sudentenregion.

Bin dort geboren, bis man Deutsche vertrieb,

ohne Heimat, daher hab ich Russland sehr lieb.


Ich seh meine Distel, denk an die andren dabei,

sich in Leipzig getroffen, ein freudiger Schrei.

Wir, zusammen, siebzig Jahr nach dem Krieg,

Schade, dass so lang dieses Thema man mied.