Uli

Uli:


Es handelt sich hier um einen Auszug aus dem Brief meiner Mutter an ihre Schwiegermutter vom 4. Januar 1946 und aus dem Buch "DAS KRIEGSENDE IN SACHSEN 1945" von Wolfgang Fleischer - DÖRFLER VERLAG GmbH, Eggolsheim.

 

Die Abschrift des Briefes meiner Mutter (liegt mir im Original vor) wurde in der Sonderausstellung des Osterzgebirgsmuseum Schloss Lauenstein "Erinnerung an die Kriegszeit" im Mai 2005 vorgestellt und mit meiner Genehmigung teilweise in der SÄCHSISCHEN ZEITUNG vom 7. Mai 2005, auf Seite M8, unter der Überschrift "Kein Kind der Liebe", abgedruckt.

 

Auszug aus dem Buch "DAS KRIEGSENDE IN SACHSEN 1945", Seite 138

 

7. Mai 1945

 

"In den Mittagsstunden erreichten sowjetische Panzer den Rand des Tharandter Waldes und bewegten sich aus Richtung des Landberges (426 m) parallel zur Waldgrenze auf Spechtshausen zu. Sie waren so zahlreich, dass ihre Ketten die nach Hartha führende Straße total mit dem Schlamm verdreckten, den sie während der Fahrt über regennasse Felder aufgenommen hatten. So berichtet ein Zeitzeuge. Auch die deutschen Panzerjäger, die vor Hartha in Stellung lagen, hielten den Angriff nur für kurze Zeit auf. Die sowjetischen Panzer verhielten auf der Höhe Mühlenweg dort, wo die Straße einen Knick macht. In dem Augenblick schossen die Panzerjäger, trafen aber nur das an der Ecke stehende Haus; der darin befindliche Kaufladen wurde verwüstet. Nun versuchten die T-34, die Panzerjäger hinter der Häuserzeile den Feldrand entlang zu umgehen. Dabei konnte die Bedienung eines in 1200 m Entfernung bei Fördergersdorf aufgestellten 8,8-cm Geschützes einen Panzer in der Flanke zu treffen. Die Explosion war so heftig, dass der tonnenschwere Turm über die Frontpanzerung noch vorn rutschte. Kurze Zeit später gelang den sowjetischen Panzern der Durchbruch in Richtung Tharandt."

 

Auszug aus dem Brief von Johanne B. an ihre Schwiegermutter in Weimar vom 4. Januar 1946

 

"Liebe Eltern,

 

gestern erhielt ich Mutters Brief. Vielen Dank dafür. Ich bin innerlich froh, daß wir alles trübe hinter uns lassen wollen. Vor allen Dingen Karls wegen.

Nun will ich Euch erst mal von hier, von den Tagen um den 7. Mai und von mir erzählen, dann sollt Ihr selbst urteilen.

 

Seit Anfang Januar bekam ich laufend Einquartierungen, erst 5 Schlesier, reiche Mühlenbesitzer aus Schlesien, dann kamen noch 5 Angehörige dieser Familie, die hier wohnten und z.Z. wo anders schliefen. Am 7. März fuhren sie weiter nach der fränkischen Schweiz. Zwischenrein bekam ich nach dem Großangriff auf Dresden noch eine dann vom Landratsamt, die ein Zimmer bewohnte nach Ramlkes Abreise. Dann kamen nach dem 2. schweren Angriff aus Chemnitz Martins Schwiegereltern (Anfang Mai) und Hannis Schwester zu mir. Sie waren aus Krojanke geflüchtet und hatten noch einen Teil ihrer Habe beim Angriff auf Chemnitz verloren (das Haus brannte aus). Sie blieben bis 5. Mai. Vorher lag hier alles schon voll Militär. SS + Flakeinheiten). Die zogen zum großen Teil in der 1. Maiwoche ab. Mit den letzten Lastwagen fuhren Martins Schwiegereltern mit einer 6-köpfigen ausgebombten Dresdner Familie, die bei Frau Hofmann wohne, ab. Wir waren allein. Abends bekam ich dann noch 3 Soldaten als Einquartierung. Kein Licht, kein Wasser im Haus. In der Nacht vom 6. - 7. Mai haben wir das Allernotwendigste gepackt und sind am 7.5. früh geflüchtet. 3 Tage waren wir weg. Spechtshausen war Kampfgebiet. SS verteidigte unsere paar Häuser. Mögels Haus hatte am meisten gelitten. Starkes Gut hatte Einschuß. Das alte Forstamt - unsere Wohnungen, sahen unbeschreiblich aus. Alles Scherben, die Möbel z. Teil umgestürzt, beschädigt und zum Teil sonst wo. Wir waren halt die ersten, die zurückkamen. Bei Schröders nahm uns der Russe in Empfang. Alles abladen. Dabei wurde nachts mein Koffer mit meiner Wäschegarnitur gestohlen. Die Kampftruppen (Russen) waren abgezogen. Wir begegneten ihnen in Grillenburg. Große Panzer und Kampf- und Lastwagen voll Russen. Eine lange, lange Reihe. Wie sah Hartha aus und wie unser Ort und die Straßen. Wenn ich zurückdenke, dann ist, als hätte man alles nur geträumt.

 

Dann folgte für uns hier die schwerste Zeit. In den 8 Tagen die russischen Einsatztruppen, d.h. Teile davon. Es war eine Elitetruppe, die täglich unsere Straße von Grillenburg nach Hartha, oder Porsdorf - Fördergersdorf abfuhr. Es war Plünderungszeit, weil Kampfgebiet, in den ersten Tagen noch. Ca. 4 Wochen waren sie da, dann zogen sie ab. Was wir da durchgemacht haben, läßt sich nicht schildern. - Vergewaltigungen waren an der Tagesordnung. Die ältesten Frauen, sogar ein 65-jährige haben daran glauben müssen. Und niemand konnte uns helfen. Wir in Spechtshausen und in Hartha haben am meisten darunter leiden müssen. Ich wundere mich heute noch, wie ich die Zeit überhaupt überstanden habe? 2 x war ich auch daran mir und Karl das Leben zu nehmen. Frau Hofmann und Herr Kaden ließen uns nicht aus den Augen. Nun bekomme ich ein Kind. Gegen Ende (23.-25.) Februar wird es da sein. 6 x war ich bei Prof. Dr. Richter deswegen. Es sagte mir wiederholt, es sei für mich gesundheitlich besser, wenn ich austrage. Im November 44 hatte ich einen schweren Nervenzusammenbruch und hatte Lähmungserscheinungen, die sich aber behoben. Nun wollte ich, als Mama hier war, Ende des 2. auf 3. Monats, das Kind trotzdem noch nehmen lassen, weil ich vollkommen erschöpft war. Beim Einkaufen wurde mir regelmäßig schlecht. Der geringste Weg wurde mir sehr schwer. Es kam wohl die ganze Reaktion erst durch. Da verschreib mir Prof. Richter einige Stärkungsmittel und sagte mir aber, daß, wenn es sich zu einem Eingriff entschlösse, der bereits für mich mit Gefahr verbunden sei. Da bin ich dann so wieder nach Hause. Nun habe ich mich langsam an den Gedanken gewöhnen müssen, noch ein Kind zu bekommen. An manchen Tagen lehnt sich alles in mir dagegen auf und dann macht alles einer großen Gleichgültigkeit Platz. Was hätte ich mich gefreut, wenn es damals geworden wäre, als Helmut noch lebte. Wie sehr hatten wir uns für Karl ein Geschwisterle gewünscht und nichts wars. Nun komme ich so dazu. Es ist nicht leicht, gar nicht. Was hilft aber alles. Mußte es halt auch tragen. Vielleicht ist es auch zu etwas gut, was ich heute noch nicht erkennen kann. ..."

 

Der Ehemann meiner Mutter fiel am 7. März 1943 bei Orel in Russland.

Einen Monat nach diesem Brief, am 10. Februar 1946, wurde ich geboren. Mein Bruder Karl verstarb am 17. September 1956 im Alter von 16 Jahren. Meine Mutter siedelte mit mir 1957 zu ihrem Schwager nach Norddeutschland um und verstarb am 1. September 2001, eine Woche vor ihrem 90. Geburtstag, in Baden-Württemberg.